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End­la­ger­su­che in­ter­na­tio­nal - Finn­land im Fo­kus

NBG-Veranstaltung "Endlagersuche international - Finnland im Fokus" (22.4.2024, Online) NBG-Veranstaltung "Endlagersuche international - Finnland im Fokus" (22.4.2024, Online)
Yagnik/Stock.Adobe.com

22.04.2024

Das Land im äußersten Norden Europas ist schneller als alle anderen Länder. Hier soll Mitte der 2020er Jahre das erste Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Betrieb gehen – weltweit! Wie haben die Finnen das nur geschafft? Zum Auftakt einer neuen Veranstaltungsreihe des NBG wurde genau das näher unter die Lupe genommen.

"Das Wunder von Onkalo?" – so lautete der vielsagende Titel des Vortrags von Markku Lehtonen. Der finnische Sozialwissenschaftler und Umweltökonom verfolgt und analysiert die Endlagersuche in seinem Land schon seit vielen Jahren. "Onkalo", die Höhle – so nennen die Finnen ihr Endlager. Sie liegt an der Westküste des Landes, auf der Insel Olkiluoto.

Schon in den 1980er Jahren starteten die Finnen ihre Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle. Das Verfahren scheiterte – auch aufgrund der fehlenden Partizipation und infolge von lokalem Widerstand. In den 1990er Jahren wurde erneut Anlauf genommen, diesmal setzte man auf mehr Dialog und Kooperation. Neben den geologischen Kriterien stand ganz oben: Wo können wir mit dem geringsten Widerstand rechnen? Und die Rechnung ging auf. Am Ende machte Olkiluoto das Rennen.

Viel Geld, wenig Widerstand

Hier stehen auch drei der fünf Atomkraftwerke des Landes, es gibt eine gute atomare Infrastruktur und – so wie in ganz Finnland – einen großen Glauben an die Kernenergie. Posiva, der finnische Vorhabenträger, der das Verfahren realisiert, finanzierte schon vor den obligatorischen Sicherheitsprüfungen und der Ratifizierung durch das finnische Parlament 2001 der Gemeinde ein Seniorenheim und gewährte Kredit für den Bau eines neuen Eisstadions. Olkiluoto bekommt die atomaren Abfälle, im Gegenzug aber auch viel Geld.

Und das finden in Finnland die wenigsten verwerflich! Ebenso die enge Verzahnung von politischen Akteuren und Energieunternehmen. 1994 hat das Land – auch im Zuge von EU-Beitrittsverhandlungen – beschlossen, dass man die eigenen atomaren Abfälle nicht mehr wie zuvor in der Sowjetunion, sondern im eigenen Land entsorgen muss. So nahm das Verfahren Fahrt auf. Danach ging es schnell. Rund 15 Jahre hat es gedauert - von der Standortentscheidung bis zur Baugenehmigung in 2015.

Pragmatismus als Erfolgsrezept

Doch wie kam dieses "finnische Wunder", auf das viele andere Länder, selbst auf der Suche nach einem Endlager, voller Bewunderung blicken, überhaupt zustande? Pragmatismus – nennt Burkhard Auffermann, ein deutscher Politikwissenschaftler, der jahrelang an finnischen Universitäten lehrte, die Hauptzutat des Erfolgsrezepts.

Die meisten Finnen seien davon überzeugt: Irgendwo muss der hoch gefährliche Abfall hin. Man brauche also eine Lösung. Warum nicht auf vorhandene atomare Infrastruktur in Kernkraftgemeinden zurückgreifen? Auch deswegen wird das finnische Verfahren mit rund fünf Milliarden Euro recht günstig.

"Land der Ingenieure"

Zudem hatten die Finnen, anders als die Deutschen, nicht die Qual der geologischen Wahl. In dem Land kommt nur Kristallin als Gestein für ein Endlager infrage. Mit geschätzten 6.500 Tonnen verbrauchten Kernbrennstoffen, die bereits angefallen sind bzw. zukünftig anfallen werden, haben sie auch weit weniger Atommüll zu entsorgen als Deutschland. Hier muss das Endlager Platz für ca. 10.500 Tonnen hoch radioaktive Abfälle aus Brennelementen bieten.

Dazu kommt aus Sicht von Burkhard Auffermann die finnische Mentalität, die stark auf Konsens basiert und wenig Misstrauen gegen Politik und Wissenschaft hegt. Stolz bezeichnen sich die Finnen als "Land der Ingenieure" mit einem unbändigen Glauben an die eigenen wissenschaftlichen Ressourcen und Möglichkeiten.

Kehrseite des Erfolgs

In Deutschland, einem Land mit einer langen und sehr konfliktgeladenen atomaren Geschichte – Stichwort Gorleben - klingen diese schnellen und reibungslosen Abstimmungsprozesse bei der Endlagersuche fast zu schön, um wahr zu sein.

Hat das "finnische Wunder" vielleicht doch auch Schattenseiten? Gewiss – so Markku Lehtonen und Burkhard Auffermann. Seit der Grundsatzentscheidung 2001 würde Partizipation eher eine Nebenrolle im finnischen Verfahren spielen. Die enge Verzahnung zwischen dem privaten Energiesektor und der Politik sei problematisch, aber die finnischen Medien würden diese Allianz kaum kritisch hinterfragen. Es fehle zudem an Gegenexpertise z.B. durch Nichtregierungsorganisationen, die - anders als z.B. in Schweden - nicht staatlich finanziell unterstützt werden.

Kritik & Selbstreflexion

Taugt das finnische Vorgehen nun als "Best-Practice-Beispiel" für andere Länder wie Deutschland, fragten die Moderatoren des NBG, Magdalena Scheck-Wenderoth und Günther Beckstein am Ende der Veranstaltung. Man könne auf jeden Fall ein Stück vom finnischen Pragmatismus auch hierzulande übernehmen. Doch der kritische, selbstreflektierende Charakter des deutschen Verfahrens mache diesen aus. Aus Fehlern lernen, keine politischen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, wissenschaftliche Kriterien als oberste Priorität – das alles brauche Zeit, sei aber auch ein Qualitätsmerkmal.

Am Ende gibt es also selten glasklare Erfolgsgeschichten – dafür ist die Endlagersuche zu komplex, in jedem Land doch zu unterschiedlich.

All diese Aspekte und Diskussionspunkte aus der Veranstaltung finden Sie auch im Video-Mitschnitt auf unserem Youtube-Kanal. Mehr Infos zu unserer Reihe und den einzelnen Folgen gibt es in unserem Dossier.

YouTube-Livestream "Endlagersuche international - Finnland im Fokus" (22.4.2024, Online)

Aygül Cizmecioglu

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