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Ge­stat­ten, Gün­ther Beck­stein!

Günther Beckstein, NBG-Mitglied (03.08.2020) Günther Beckstein, NBG-Mitglied (03.08.2020)
Aygül Cizmecioglu

NBG stellt sich vor | 10.08.2020

Er war Ministerpräsident Bayerns, nennt sich einen streitbaren Demokraten und ist seit März 2020 Teil des NBG. Ein Gespräch mit Günther Beckstein über politische Konsequenz, die Neugier auf andere Meinungen und warum es sich manchmal lohnt, anzuecken.

Herr Beckstein, wann trat das Thema „Atommüll“ eigentlich in ihr Leben?

Vor vielen Jahren, aber in einem völlig anderen Zusammenhang. In den 1990er Jahren – ich war damals Staatssekretär im bayerischen Innenministerium – hatten wir Probleme, weil plötzlich radioaktiver Müll von Atomwaffen auf dem Schwarzmarkt auftauchte.

Sie meinen die sogenannte „Plutonium-Affäre“, wo 1994 illegal Plutonium von Moskau nach München transportiert wurde.

Genau! Ein Riesenskandal. Später hat es ein großes Strafverfahren dazu gegeben, ein Untersuchungsausschuss im Bundestag und im Landtag. Und da ist mir das erste Mal deutlich geworden, das Atommüll eine doppelte Geschichte hat – einmal im Bereich der Waffen und natürlich in Bezug auf Atomkraftwerke.

Das Thema ist hochemotional. Es gab jahrzehntelang Grabenkämpfe zwischen Atomkraft-Gegnern und Befürwortern. Zu welchem Lager gehörten Sie?

Ich habe zunächst die härtesten Auseinandersetzungen selbst miterlebt. Weil wir in Bayern eine Wiederaufarbeitungsanlage bekommen sollten. Die sollte in Wackersdorf gebaut werden. Und da gab es massive Proteste. Da war ich schon im bayerischen Innenministerium und für die Polizei zuständig. Deshalb habe ich damals manches Wochenende im Hubschrauber zugebracht und leider mit ansehen müssen, welche bürgerkriegsähnlichen Zustände dort herrschten.

Konnten Sie nachvollziehen, warum diese Menschen auf die Barrikaden gegangen sind oder war Ihnen das fremd?

Nein, ich konnte das schon nachvollziehen. Ich bin ja auch kirchlich sehr engagiert. Viele in diesem kirchlichen Kreis hatten sich massiv gegen die Kernkraft ausgesprochen.

Und Sie?

Ich muss gestehen, ich war zunächst ein Befürworter der Kernenergie. Weil es erst dadurch überhaupt möglich wurde, große Mengen an Strom zu erzeugen. Damit ist Bayern erst zu einem wichtigen Standort für große Industrie geworden. Trotzdem muss man einräumen, dass Kernenergie mit besonderen Gefahren verbunden ist, die vielen Menschen Angst macht. Natürlich würde ich heute auch niemals mehr Kernkraftwerke bauen lassen. Das ist ganz klar!

Günther Beckstein, NBG-Mitglied (03.08.2020) Günther Beckstein, NBG-Mitglied (03.08.2020)
Günther Beckstein, Jahrgang 1943, ist von Hause aus Jurist. Er war 2007 bis 2008 Ministerpräsident Bayerns und gilt als ein Urgestein der CSU Aygül Cizmecioglu

Hat der Reaktorunfall 2011 in Fukushima dieses Umdenken gebracht?

Die erste Zäsur war ja schon 1986 in Tschernobyl. Aber das später ausgerechnet in einem Hightech-Land wie Japan so ein Unglück passiert, das hat mich wie viele andere Menschen auch sehr zum Nachdenken gebracht. Ich finde es völlig in Ordnung, dass die Kernenergie nun ausläuft. Aber ich finde den Umgang damit nicht sehr konsequent.

Was meinen Sie?

Man kann nur etwas aufgeben, wenn man etwas anderes hat. Die eigenen Kernkraftwerke abzuschalten, aber gleichzeitig Atomstrom in großen Mengen aus Frankreich und Tschechien zu importieren, finde ich nicht logisch. Die Speicherfähigkeit von alternativen Energieformen wie Wind, Sonne oder Wasserstoff muss weiterentwickelt werden, so dass sie weniger Schwankungen unterliegt und auch im industriellen Maßstab eingesetzt werden kann.

2010 beschloss die schwarz-gelbe Regierung die Verlängerung der Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke, der zuvor unter rot-grün vereinbarte Ausstieg aus der Kernenergie wurde einkassiert. Nach Fukushima gab es wieder eine Kehrtwende. Geplant ist nun bis 2022 alle Reaktoren abzuschalten. Wie haben Sie als CSU-Politiker diese Richtungsänderung wahrgenommen?

Ein Hin- und Her ist immer schlecht, für alle Beteiligten. Die Wirtschaft, die Öffentlichkeit muss sich auf politische Entscheidungen verlassen können. Es hätte uns Milliarden an Schadenersatzleistungen erspart, wenn wir bei der rot-grünen Entscheidung zum Atomausstieg geblieben wären. Das hätte den Konsens in der Gesellschaft wahrscheinlich auch erheblich vorangebracht. Das sage ich natürlich im Nachhinein, mit dem Wissen von heute.

Sie gehörten zu den wenigen CSU-Politikern, die auch einen guten Draht zu den Grünen hatten. Warum eigentlich?

Ich bin ein streitlustiger Demokrat. Und Demokratie lebt davon, dass Alternativen durchdiskutiert werden - Argument und Gegenargument, Rede und Gegenrede. Erst dadurch findet man zu guten Entscheidungen. Und die Grünen waren hochqualifizierte Diskussionspartner - Christine Scheel, Claudia Roth, Jürgen Trittin, Joschka Fischer. Das sind alles Leute, mit denen wir oft gestritten haben. Aber es waren auch Persönlichkeiten, mit denen sich ein Streit auch immer gelohnt hat. Weil wir Respekt voreinander hatten.

Gestatten, NBG-Mitglied Günther Beckstein!

Wie reagierte denn Ihre Partei, die CSU, darauf?

Das hat schon oft für Ärger gesorgt oder ist auf Unverständnis gestoßen. Aber ich hatte ja in der Partei und in der bayerischen Landesregierung hohe Funktionen inne. Und da konnte ich meine eigene Meinung auch selbstbewusst vertreten.

2007 bis 2008 waren Sie bayerischer Ministerpräsident. Nun sind sie Teil des Nationalen Begleitgremiums. Wie kam es eigentlich dazu?

Mich hat Karsten Möring, der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages angerufen und gefragt. Und ich habe Ja gesagt.

Was hat Sie gereizt an der Aufgabe?

Also ich bin davon überzeugt, dass die Endlagersuche der schwierigste und spannendste politische Prozess ist, den wir in den nächsten 50 Jahren in Deutschland zu bewältigen haben. Das ein Stück weit mit zu begleiten, ist reizvoll. Außerdem habe ich nach meiner Zeit in der aktiven Politik auch das Amt des Vorsitzenden des ersten gesamtdeutschen Bürgerrats übernommen. Plebiszitäre, partizipative Elemente in die Politik einzubringen, ist gerade heute besonders wichtig.

Warum?

Meine Überzeugung ist, dass sich die Demokratie – vor der Coronakrise – in einer großen Legitimationskrise befunden hat. Wahlbeteiligungen sind zurückgegangen, extreme Parteien haben zugenommen. Und da kann Bürgerbeteiligung eine Chance sein, Menschen wieder aktiv in politische Prozesse einzubinden.

Und genau dafür steht auch das NBG. Das Gremium begleitet die Endlagersuche und setzt sich für ein transparentes und bürgernahes Verfahren ein. Laut Gesetz geht man von einer weißen Landkarte aus, d.h. dass kein Ort oder Region von vornherein ausgeschlossen ist. Der Standort soll allein nach wissenschaftlichen Kriterien ausgesucht werden. Im bayerischen Koalitionsvertrag heißt es aber, dass Bayern für ein Endlager nicht in Frage kommt. Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident gab diesem Ausscheren auch seine Schützenhilfe. Wie finden Sie das?

Das war wohl der damaligen landespolitischen Situation geschuldet. Aber man muss auch sagen: Bayern hat dem Standortauswahlgesetz zugestimmt und damit auch dem Verfahren, dass alle drei Wirtsgesteine – Ton, Salz und Kristallin – allein nach wissenschaftlichen Kriterien untersucht werden. Das zuständige bayerische Landesamt hat auch alle geologischen Daten an die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) geliefert, damit diese ihre Arbeit machen kann.

Günther Beckstein, NBG-Mitglied (41. NBG-Sitzung, 04.08.2020/Berlin) Günther Beckstein, NBG-Mitglied (41. NBG-Sitzung, 04.08.2020/Berlin)
Günther Beckstein engagiert sich vor allem in der Fachgruppe "Öffentlichkeitsbeteiligung" des Nationalen Begleitgremiums Aygül Cizmecioglu

Als Sie ins NBG berufen wurden, gab es Stimmen, die Sie als „Maulwurf Bayerns“ bezeichneten. Der Vorwurf lautete, Sie würden in diesem unabhängigen Gremium die Eigeninteressen Bayerns vertreten. Was sagen Sie dazu?

Da kann ich ganz klar sagen: ich bin nicht abhängig von der Landesregierung in München oder dem bayerischen Koalitionsvertrag. Ich bin als eigenständige Persönlichkeit in dieses Gremium gekommen und stehe hinter dem Standortauswahlgesetz. Das Verfahren muss transparent und nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen. Sie können sich sicher sein, ich werde nicht in der Staatskanzlei in München anrufen und fragen: Was darf ich sagen, wie soll ich abstimmen? So etwas hätte ich nie und nimmer akzeptiert.  

Sprechen Sie trotzdem Kommunalpolitiker aufgrund ihrer neuen Aufgabe im NBG an?

Ja, mich haben einige Bürgermeister schon angerufen. Sie haben Sorge, dass ihre Region für ein Endlager infrage kommen könnte. Und da kann ich ihnen nur sagen: Ich als NBG-Mitglied werde nicht entscheiden, wo am Ende das Endlager hinkommt. Meine Rolle ist eher, dafür zu sorgen, dass das Verfahren sauber, wissenschaftlich und transparent abläuft und die zuständigen politischen Akteure ihren Job richtig machen.

Das ist schon eine sehr herausfordernde Aufgabe!

Natürlich. Wir haben in Deutschland einen sehr hohen Anspruch formuliert. Es soll ein Endlagerstandort gefunden werden, der die bestmögliche Sicherheit für eine Million Jahre gewährleistet. Das ist ein unvorstellbar langer Zeitraum. Und damit man dieses Versprechen auch einlösen kann, wird ein extrem hoher Aufwand betrieben- zurecht! 

Am Ende wird das Endlager an einem Standort gebaut und eine bestimmte Region muss die atomare Last von ganz Deutschland tragen. Aber kein Mensch möchte wirklich ein Endlager in seinem Vorgarten haben. Wie kriegt man dennoch eine Akzeptanz hin?

Das wird eine spannende Frage. Die Finnen z. B. haben gesagt: Wer den Endlagerstandort bekommt, muss mit extrem hohen Summen gefördert werden. Daraufhin haben sich sogar gleich mehrere Regionen beworben.

Glauben Sie wirklich, dass das in Deutschland auch möglich ist?

Vielleicht nicht im Moment. Aber Kompensationszahlungen und Standortförderung sind wichtige Aspekte. Wir haben bei uns in Bayern z. B. in den vergangenen Jahren in den Gegenden, wo wir ein Lager für schwach radioaktive Abfälle haben, auch wissenschaftliche Einrichtungen aufgebaut und hochqualifizierte Arbeitsplätze hingebracht. Wenn Wissenschaftler, die von dem Thema was verstehen, dorthin ziehen, dann schafft das auch bei dem Bauern vor Ort Vertrauen. Es muss bei der Endlagersuche klar sein, dass wir nicht mit der Gesundheit der Menschen spielen, sondern dass hier die allerhöchsten Sicherheitsanforderungen gelten.  

Sie sind erst seit kurzem mit an Bord, drei Jahre im NBG stehen an. Was wollen Sie persönlich hier erreichen, damit Sie am Ende der Amtszeit sagen können: ich habe einen guten Job gemacht?

In diesem Gremium sind ganz unterschiedliche Leute – ich, als jemand, der eher konservativ geprägt ist, Umweltschützer, Wissenschaftler, normale Bürgerinnen. Wenn es uns in all dieser Unterschiedlichkeit gelingt, das Verfahren so zu begleiten, dass wir mit jeder Faser unseres Gewissens sagen können: Ja, es ist alles transparent, nach den höchsten Standards abgelaufen und jede Sorgfalt wurde gewahrt. Dann wäre ich schon zufrieden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Aygül Cizmecioglu von der Geschäftsstelle des NBG

Günther Beckstein ist seit März 2020 Mitglied im Nationalen Begleitgremium.

Wer steckt eigentlich hinter dem Nationalen Begleitgremium? In einer losen Reihe von Interviews und Artikeln erzählen unsere Mitglieder ihre ganz persönliche NBG-Geschichte. Was ist ihre Motivation? Wo liegen die größten Herausforderungen? Die weiteren Texte finden Sie in unserem Dossier.

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